Die deutschen Innenstädte befinden sich im Umbruch – sichtbar an immer mehr leerstehenden Schaufenstern, geschlossenen Traditionskneipen und dem Rückzug etablierter Einzelhändler. Was viele Investoren lange nicht betraf, entwickelt sich nun zunehmend zu einem wirtschaftlichen Risiko: Der Strukturwandel im stationären Handel schlägt unmittelbar auf die Werthaltigkeit und Vermietbarkeit von Einzelhandelsimmobilien durch.
Besonders betroffen sind eigentlich stark frequentierte Großstadtlagen – also genau jene Standorte, die traditionell als besonders werthaltig galten. Doch selbst in der Münchener Innenstadt, wo mit bis zu 340 EUR/m² die höchsten Gewerbemieten im deutschsprachigen Raum aufgerufen werden, stehen Läden leer. In Frankfurt verlangen Eigentümer in Spitzenlagen bis zu 270 EUR/m², in Düsseldorf liegt das Mietniveau auf ähnlichem Niveau. In Berlin haben sich die Gewerbemieten in beliebten Vierteln innerhalb von zehn Jahren sogar verdoppelt. Diese Entwicklung geht jedoch längst nicht mehr mit stabilen Erträgen einher.
Hochfrequenz garantiert keine Stabilität mehr
Die Kaufingerstraße in München gilt als die meistbesuchte Einkaufsstraße im gesamten DACH-Raum. Im Februar 2025 zählte sie 1,8 Millionen Passanten. Dennoch müssen selbst hier Einzelhändler schließen – das Verhältnis von Umsatz zu Miete stimmt für viele nicht mehr. Ähnlich im Frankfurter Nordend: Das Café Lido, über 23 Jahre lang etabliert, gab auf, nachdem eine Mieterhöhung um 70 % angekündigt wurde. In Berlin-Prenzlauer Berg, lange Zeit Synonym für florierende Gastronomie, werden aktuell mehrere traditionsreiche Lokale geschlossen, darunter das Kultobjekt „WATT“. Der Grund: Auslaufende oder nicht verlängerte Mietverträge – wirtschaftlich nicht mehr tragbar.
Diese Fälle sind keine Einzelfälle, sondern Teil einer deutschlandweiten Entwicklung. Laut Handelsverband Deutschland (HDE) sind seit Beginn der Pandemie bereits rund 40.000 Einzelhändler vom Markt verschwunden. Eine Prognose geht davon aus, dass in den kommenden vier Jahren weitere 46.000 Betriebe folgen werden. Ursache sind unter anderem steigende Mietkosten, ein verändertes Konsumverhalten und die hohen Belastungen durch inflationsbedingte Indexmietverträge – ein Modell, das im Gewerbesegment gängige Praxis ist.
Indexmieten und Inflation: Eine riskante Kombination
Im Gegensatz zu Wohnmietverhältnissen sehen gewerbliche Mietverträge häufig Indexklauseln vor, die eine mehrfache Anpassung pro Jahr erlauben. Besonders in den Inflationsjahren 2022 y 2023 mussten über 50 % der Händler höhere Mieten zahlen. Während gleichzeitig die Kundenfrequenz in vielen Stadtteilen sank, konnten zahlreiche Gewerbetreibende diese Mehrbelastung nicht mehr kompensieren – weder durch Preissteigerungen noch durch Umsatzwachstum. Insbesondere inhabergeführte Betriebe trifft das hart.
Eine Analyse der IHK Baden zeigt, dass rund 30 % aller gewerblichen Innenstadtbetriebe (minorista, Dienstleistung, Gastronomie) heute so schlecht aufgestellt sind, dass sie ohne Kurskorrektur innerhalb der nächsten zehn Jahre nicht mehr existieren werden. Besonders problematisch: Auch größere Ketten sind betroffen – und deren Rückzug wirkt sich überproportional auf die umliegende Infrastruktur aus.
Makroeffekte auf ganze Stadtviertel – auch für Investoren relevant
Die wirtschaftlichen Folgen gehen über einzelne Mietverhältnisse hinaus. Schließt ein großes Geschäft oder Warenhaus, bricht häufig das gesamte Umfeld ein – kleinere Geschäfte verlieren ihre Laufkundschaft, Besuchsanlässe gehen zurück, ganze Straßenzüge veröden. Diese Spirale aus Leerstand, sinkender Passantenfrequenz und Attraktivitätsverlust gefährdet nicht nur die Mietrendite, sondern mittelfristig auch die Verkehrswerte von Objekten.
Selbst gentrifizierte Viertel wie die Maxvorstadt in München oder Berlin-Prenzlauer Berg sind nicht immun. In beiden Lagen stagnieren die Immobilienpreise trotz gesunkener Zinsen seit knapp drei Jahren – ein klares Warnsignal für Investoren, dass reine Lagequalität nicht mehr ausreicht.
Lösungsansätze: Mietpartnerschaften und neue Nutzungskonzepte
Die HDE und zahlreiche IHKs raten mittlerweile zu umsatzbasierten Mietmodellen. Diese ermöglichen Flexibilität: Läuft das Geschäft gut, profitieren Vermieter direkt mit. In schwächeren Phasen wird die wirtschaftliche Belastung für den Mieter reduziert – das senkt das Ausfallrisiko und stabilisiert den Cashflow. Auch Kombinationen aus Mindestmiete plus Umsatzkomponente gewinnen an Bedeutung. Aufgrund der aufsichtsrechtlichen Limitierung “Aktive unternehmerische Bewirtschaftung” ist dies inbesondere für regulierte Immobilien-Sondervermögen, nur eingeschränkt möglich.
Darüber hinaus müssen Vermieter umdenken – strategische Fragen aus Investorensicht. Die veränderte Marktlogik verlangt neue Denkansätze bei Bestandsimmobilien. Wer heute in innerstädtische Handelslagen investiert oder Bestand hält, muss sich mit folgenden zentralen Fragen auseinandersetzen:
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Welche Nutzungsarten sind künftig tragfähig?
Klassischer Einzelhandel verliert in vielen Lagen an wirtschaftlicher Substanz. Stattdessen gewinnen andere Konzepte an Relevanz: Showrooms mit Online-Anbindung, medizinische Dienstleistungen, Nahversorgung oder spezialisierte Manufaktur-Formate bieten Stabilität, weil sie weniger stark von Laufkundschaft abhängen. Auch hybride Nutzung (venta + Beratung + Versand) wird zunehmend relevant. -
Welche Mischformen – etwa aus Handel, Gastronomie, Kultur, Dienstleistungen oder temporärer Nutzung – lassen sich realisieren?
Gemischte Konzepte sorgen für Frequenz, schaffen Synergien und erhöhen die Aufenthaltsqualität. Die Kombination von Tagesgastronomie mit Co-Working-Elementen, Mikro-Kulturangeboten oder Pop-up-Flächen kann insbesondere in Vierteln mit hoher Fluktuation und junger Zielgruppe neue Impulse setzen. -
Wie tragfähig ist das bisherige Nutzungskonzept unter den neuen Rahmenbedingungen?
Eine fundierte Nutzungsanalyse offenbart Schwächen frühzeitig: Passt das Mieterprofil noch zur Mikrolage? Ist das Objekt barrierefrei, energieeffizient, ESG-konform? Lassen sich die Flächen flexibel an unterschiedliche Formate anpassen? -
Wie hoch ist das Re-Investitionspotenzial bzw. der Kapitalbedarf für eine Umnutzung oder Repositionierung?
Nicht jeder Umbau rechnet sich – aber gezielte Investitionen in Substanz, Flächeneffizienz und Drittverwendungsfähigkeit verbessern die Vermietbarkeit und sichern langfristig Werte. Eine Standort- und Mietpreisprognose ist hier zwingend. -
Wie kann das Risiko struktureller Leerstände reduziert werden?
Flexible Mietmodelle (Z. B. umsatzabhängige Miete, Staffelmodelle, temporäre Zwischennutzung) verringern das Kündigungsrisiko und ermöglichen eine Anpassung an Marktschwankungen – ein entscheidender Vorteil in volatilen Phasen. -
Welche Rolle spielt die ESG-Strategie für Gewerbeimmobilien?
Energieeffizienz, soziale Nutzungskonzepte (Z. B. Quartiersintegration) und Governance-Fragen rücken auch bei Gewerbeimmobilien zunehmend in den Fokus institutioneller Investoren. Wer ESG-Faktoren ignoriert, riskiert zukünftig Bewertungsabschläge und eingeschränkten Zugang zu Finanzierungsmitteln. -
Wie verändert sich die Lagequalität durch den Rückgang von Frequenzankern (Z. B. Warenhäuser)?
Der Rückzug großer Handelsketten kann negative Spillover-Effekte auslösen. Eine Neubewertung der Makro- und Mikrolage – inklusive Erreichbarkeit, Mobilität, sozialem Umfeld – ist unerlässlich, um Standortchancen realistisch einzuschätzen.
Werterhalt und Mietstabilität sind in Zeiten strukturellen Wandels keine Selbstläufer mehr. Sie setzen aktives Management, kreative Nutzungskonzepte und ein belastbares Verständnis für Stadtentwicklung voraus. Besonders in B-Lagen oder sich wandelnden Quartieren entscheidet nicht die Miete von gestern, sondern das Nutzungspotenzial von morgen über den Erfolg einer Investition.
Beratung als Wertschutzinstrument
Gerade in einem Marktumfeld, das sich dynamisch verändert, ist fundierte Beratung entscheidend. Eigentümer sollten die aktuelle Performance und das Potenzial ihrer Objekte professionell analysieren lassen – mit Fokus auf Mietstruktur, Nutzungskonzept, ESG-Konformität und Marktfähigkeit. Ohne solche Maßnahmen drohen Vermietungsprobleme, Wertverluste und teure Umbaumaßnahmen ohne Strategie.
Wandel proaktiv begleiten – Chancen erkennen
Die Zeiten, in denen Lagen allein über den Erfolg entschieden, sind vorbei. Heute geht es um intelligente Nutzungskonzepte, faire Mietstrukturen und die Fähigkeit, auf strukturelle Marktveränderungen flexibel zu reagieren. Für Eigentümer und Investoren bietet dieser Wandel nicht nur Risiken, sondern auch Chancen – wenn er aktiv begleitet wird.